Interview mit Andrea Rick von Plotbunny Games
Hast du schon von Plotbunny Games gehört? Hierbei handelt es sich um einen neuen deutschen Spiele- und Buchverlag, welcher auf die Veröffentlichung von Rollen- und Erzählspielen spezialisiert ist. Wir hatten die Chance Andrea Rick, die Gründerin des Verlags zu interviewen. Sie hat uns erklärt, was das Besondere an dem Verlag ist, worum es in ihrem ersten Crowdfunding Fräulein Bernburg Pensionat für junge Damen geht und worauf wir uns in Zukunft noch freuen dürfen:
💬 Super cool, dass du dich für die Gründung von Plotbunny Games entschieden hast! Wie kam dir die Idee dazu und was war deine Motivation zur Gründung?
Die ursprüngliche Idee entstand bei einem Online-Kaffeeklatsch, bei dem wir mit ein paar queeren Leuten darüber rumgesponnen haben, einen Rollenspielverlag zu gründen. Ich war dann diejenige, die angefangen hat, gründlicher zu recherchieren, was denn alles dazugehören würde, und die am Ende dann gesagt hat „Ich mach das jetzt!“
Das Ziel von Plotbunny Games ist es, mehr coole Rollenspiele auf Deutsch herauszubringen, insbesondere von marginalisierten Kreativen. Der Fokus liegt dabei auf erzählzentrierten Spielen. Dazu gehören einerseits Übersetzungen, um tolle Spiele auch denen zugänglich zu machen, die nicht gut Englisch sprechen oder deutsche Regelwerke am Spieltisch einfach praktischer finden. Andererseits möchte ich auch Originale auf Deutsch herausbringen, denn auch im deutschsprachigen Raum entsteht interessantes Game Design, das eine professionelle Veröffentlichung verdient.
💬 Aus wie vielen Personen besteht das Team aktuell und was sind ihre Aufgaben?
Der Verlag selbst besteht momentan aus einer Person, nämlich mir. Ich mache die Übersetzungen, die Art Direction und das Layout, die Buchhaltung, das Marketing, sowie sämtliche Kommunikation und das gesamte Projektmanagement. Im Fall von unserem ersten Projekt Fräulein Bernburgs Pensionat für junge Damen bin ich außerdem die Game-Designerin. Glücklicherweise habe ich mir im Laufe meines Lebens eine ganze Menge Fähigkeiten angeeignet, die ich jetzt bei Plotbunny Games einbringen kann. So kann ich vieles einfach selbst machen, was gerade in der Anfangsphase echt praktisch ist.
Je nach Projekt hole ich mir zusätzlich noch kompetente Freelancer*innen dazu, die meine Arbeit ergänzen. Bei Fräulein Bernburgs Pensionat für junge Damen ist z.B. Jasmin Neitzel meine Crowdfunding-Beraterin, Christiane Ebrecht habe ich als Illustratorin für weitere Bilder engagiert und Camilla Kutzner guckt mir am Schluss als Korrektorin nochmal gründlich auf die Finger.
Wenn ich zukünftig Spiele von anderen Game-Designer*innen für Plotbunny Games übersetze, kommt noch ein externes Lektorat hinzu. Auch fürs Sensitivity Reading engagiere ich bei Bedarf Freelancer*innen, die sich in relevanten Themenfeldern besser auskennen als ich. Das entscheidet sich immer je nach Projekt. Bei all dem vergebe ich Aufträge (und damit Geld) besonders gerne an marginalisierte Fachleute.
💬 Welche Erfahrungen haben du und dein Team mit Pen & Paper Rollenspielen?
Ich spiele, leite und moderiere begeistert Rollenspiele, besonders gerne mit erzählerischem Fokus. Ich probiere gerne neue Systeme aus und lerne dadurch neue Mechaniken, Themen und Settings kennen. So habe ich in kurzer Zeit enorm viel Rollenspielerfahrung sammeln können. Ich bin nämlich erst seit 2020 dabei. Seitdem habe ich aber schon über 100 verschiedene Rollen- und Erzählspiele selbst gespielt oder geleitet und weit mehr gelesen.
Kurz nach meiner ersten Rollenspielrunde bin ich ins Game Design eingestiegen und habe mit Magical Pets meinen ersten Hack geschrieben. Dem folgten schnell eigene Spiele und Spielmaterialien, die ich auf der Plattform Itch.io veröffentlichte. Fast alle davon auf Deutsch und Englisch. Letztes Jahr ist die erste Ausgabe von Fräulein Bernburgs Pensionat für junge Damen dort als erstes deutschsprachiges Firebrands-Spiel erschienen. Mein Spiel ImproVeto wurde Anfang dieses Jahres vom australischen Verleger Long Tail Games für dessen englischsprachigen Sammelband Tiny Tome ausgewählt und gedruckt. Mein Fall A Killer After Her Own Heart gewann kürzlich den zweiten Platz in der Kategorie Murder Mystery im Brindlewood Bay Writing Contest. Außerdem wurde ich für das diesjährige Diana Jones Emerging Designer Program nominiert.
Weiterhin habe ich letztes Jahr zwei Game Jams co-organisiert (bei einem davon entstand Fräulein Bernburgs Pensionat ursprünglich), mit Mario Salamander einen Workshop zum Einstieg ins Game Design veranstaltet und immer wieder Feedback für zahlreiche Spiele und Ergänzungsmaterialien von anderen Autor*innen gegeben. Um mehr Aufmerksamkeit für interessantes Game Design auf Deutsch zu schaffen, habe ich dieses Frühjahr das erste Bundle mit deutschsprachigen Rollenspielen auf Itch organisiert.
Für den Uhrwerk Verlag war ich eine der Übersetzerinnen von Charmante Schwertlesben (orig.Thirsty Sword Lesbians) und habe außerdem im Rahmen des Crowdfundings eins der alternativen Cover gestaltet. Für System Matters habe ich ein Sensitivity Reading zu einem Teil der Übersetzung von World Wide Wrestling gemacht.
Außerhalb des Rollenspielbereichs habe ich viele Jahre als selbständige Grafikdesignerin, Übersetzerin und Lektorin gearbeitet und ehrenamtliche Kultur- und Community-Arbeit gemacht, was mir auch bei Plotbunny Games sehr zugutekommt.
Alle weiteren Beteiligten an Plotbunny Games Projekten bringen jeweils sehr unterschiedliche Hintergründe und Erfahrungen mit. Über die Beteiligten an Fräulein Bernburgs Pensionat für junge Damen könnt ihr z.B. mehr auf dessen Crowdfunding-Seite nachlesen. Ich arbeite dabei mit Menschen zusammen, die meine eigenen Kompetenzen sinnvoll ergänzen und freue mich immer über weitere Interessensbekundungen, wenn jemand Lust auf eine Zusammenarbeit hat.
💬 Wie bist du auf Fräulein Bernburgs Pensionat für junge Damen aufmerksam geworden und warum hast du es für das erste Crowdfunding ausgewählt?
Da ich es selbst geschrieben habe, hatte ich es ohnehin auf dem Radar für eine zukünftige Veröffentlichung bei Plotbunny Games. Warum es nun das erste Projekt für den Verlag geworden ist, hatte mehrere Gründe.
Zum einen war mir wichtig, als neuer Verlag erstmal das Vertrauen der Rollenspielszene zu verdienen, indem ich das Spiel nach Abschluss des Crowdfundings möglichst schnell ausliefern kann. Dazu musste das Projekt organisatorisch und finanziell überschaubar bleiben und ich möglichst viel selber machen und schnell entscheiden können.
Das erste Spiel von Plotbunny Games sollte außerdem meine Liebe zur rollenspielerischen Nische deutlich machen und den Verlag als Anbieterin auch von ungewöhnlichen Themen und Settings positionieren. Dass ich praktischerweise durch meine eigenen Marginalisierungen auch noch etablieren kann, dass die besondere Aufmerksamkeit von Plotbunny Games auf tollen Spielen von marginalisierten Kreativen liegt, hat auch nicht geschadet.
Kurz: Fräulein Bernburgs Pensionat hatte die richtige Länge, ist durch die wenigen Beteiligten sehr übersichtlich und verkörpert vieles, was mir mit Plotbunny Games wichtig ist – und deshalb ist es unser erstes Spiel geworden.
💬 Was macht Fräulein Bernburgs Pensionat für junge Damen in deinen Augen so besonders?
Ein Fokus auf weibliche Figuren und deren Perspektiven ist im Rollenspiel zwar nicht komplett neu (wer mich kennt, weiß, dass das ein Faktor ist, den ich auch an Brindlewood Bay oder Bluebeard’s Bride sehr schätze), aber trotzdem noch kein Standard – erst recht nicht im deutschsprachigen Raum.
Anders als in Brindlewood Bay und vielen traditionelleren Rollenspielen dreht sich der Schwerpunkt des Spiels in Fräulein Bernburgs Pensionat allerdings nicht um Action und Abenteuer in der Außenwelt, sondern um das zwischenmenschliche Drama zwischen den Figuren. Wer also schon immer am liebsten die Tavernengespräche und Lagerfeuerszenen gespielt hat, wo die Figuren einfach nur miteinander reden, oder bei Kampfszenen die emotionale Dynamik zwischen den Parteien mindestens genauso wichtig findet, wie die gelandeten Treffer, ist hier genau richtig.
Auch das Setting in den 1950er Jahren ist ungewöhnlich und interessant, während der Internatsschauplatz gleichzeitig viele vertraute Andockpunkte bietet. Das Schöne an Fräulein Bernburgs Pensionat ist dabei, dass man es ohne jedes historische Hintergrundwissen spielen kann. Wenn man aber Lust darauf hat, sich in die Geschichte der 1950er zu vertiefen, kann man vieles davon dennoch ins Spiel einbringen. Es macht auch nichts, wenn eine Spielrunde diesbezüglich gemischt besetzt ist.
Dass das Spiel bereits auf dem wunderbaren Titelbild von Christiane Ebrecht deutlich macht, dass die Welt von Fräulein Bernburgs Pensionat selbstverständlich auch Figuren of Color und queere Beziehungen einschließt, ist leider momentan auch noch etwas Besonderes im deutschsprachigen Raum.
💬 Würdest du Fräulein Bernburgs Pensionat für junge Damen für Einsteiger*innen empfehlen? Wenn ja, warum?
Auf jeden Fall. Dadurch, dass es keine Spielleitung gibt, verteilt sich die Verantwortung für die Gestaltung des Spiels sowieso auf alle Beteiligten in der Spielrunde. So können alle die Geschichte und Spieldynamik mitgestalten und niemand muss alleine alles steuern. Gerade für Leute, die sich das Leiten eines traditionelleren Spiels noch nicht so richtig zutrauen oder einfach keine Lust auf die klassische SL-Rolle haben, ist ein spielleitungsloses Spiel generell eine großartige Alternative.
Fräulein Bernburgs Pensionat bringt den Spielenden in der jeweiligen Vorbereitungsphase außerdem implizit bei, wie man eine Szene aufsetzt, denn es gibt keine Spielleitung, die das übernimmt. Das tun fast alle anderen Firebrands-Spiele zwar ebenfalls, aber ich setze hier noch eins drauf und liefere zudem eine ausführliche Erklärung des hier gewünschten cineastischen Spielstils und ein schriftliches Spielbeispiel dafür mit. Mehrere Actual Plays hierzu findet ihr außerdem auf der Crowdfunding-Seite.
In den einzelnen Szenen geben die Listen mit Fragen und Prompts enorm viel Hilfestellung für alle, die sich mit dem Improvisieren schwertun, ohne diejenigen einzuschränken, die diese Listen lieber nur als lose Inspiration benutzen möchten. Durch die vielen thematisch zugespitzten Vorschläge voller Dramapotenzial macht Fräulein Bernburgs Pensionat es auch unerfahrenen Spielenden sehr leicht, schnell zum interessanten Kern der Szene zu kommen, anstatt ewig rumzueiern, weil niemand sich traut, eine Entscheidung zu treffen. So entsteht das gewünschte Drama fast ganz von allein und eine Szene ergibt sich aus der anderen.
Nicht zuletzt war Fräulein Bernburgs Pensionat in verschiedenen Spielrunden und Playtests schon für mehrere Leute ihr erstes Firebrands-Spiel, ihr erstes Erzählrollenspiel, ihr erstes SL-loses Spiel oder gar ihr erstes Rollenspiel überhaupt – und in allen diesen Fällen hat der Einstieg in der Praxis gut geklappt!
💬 Worauf dürfen wir uns in Zukunft noch freuen?
Auf weitere tolle Spiele! Eins haben wir bereits für nächstes Jahr angekündigt, nämlich das Spiel Viva la QueerBar, das ich zusammen mit Sandra Dahlhoff geschrieben habe. Das ist ein spielleitungsloses Spiel um eine Queerbar oder ein Queercafé und das Team, das sie betreibt, in dem es um die Freuden und Kämpfe geht, die dazugehören, wenn man Teil einer queeren Community ist. Auch dieses Spiel ist natürlich für Spielende aller Geschlechter und Orientierungen, die Lust auf dieses Thema haben! Mechanisch ist es Descended from the Queen, basiert also auf dem Spiel Für die Königin von Alex Roberts, in dem die gesamte Geschichte und alle Figuren allein durch das Beantworten von Fragen entstehen.
Ansonsten freuen wir uns enorm auf die sehr verschiedenen Übersetzungsprojekte, für die wir bereits Lizenzen bekommen haben. Das erste davon werden wir bekannt geben, nachdem das Crowdfunding für Fräulein Bernburgs Pensionat abgeschlossen ist. Die anderen halten wir noch geheim, bis sie spruchreif werden.
💬 Zu guter Letzt: Was ist dein Lieblingssystem?
Da muss ich gleich einen ganzen System-Stammbaum aufmalen, fürchte ich! Mein Lieblingssystem ist nämlich Powered by the Apocalypse/PbtA (z.B. Monsterhearts, Bluebeard’s Bride) und seine inzwischen sehr eigenständigen Ableger Firebrands (z.B. Fräulein Bernburgs Pensionat für junge Damen, Der König ist tot), Belonging Outside Belonging bzw. No Dice, No Masters (z.B. Dream Askew / Dream Apart, Wanderhome) und Carved from Brindlewood (z.B. Brindlewood Bay, Paranormal Inc..). Ich bin immer wieder begeistert, welche unterschiedlichen Themen, Settings und Spielgefühle auf Basis dieser Systemfamilie erkundet werden und möglich sind und finde immer wieder Neues zum Ausprobieren.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Andrea Rick von Plotbunny Games für das Interview, wünschen ihr ganz viel Erfolg für ihren Verlag und freuen uns darauf, mehr über ihre weiteren Projekte zu erfahren. Das Crowdfunding zu Fräulein Bernburg Pensionat ist mitsamt mehreren Bonuszielen bereits erfolgreich finanziert und kann noch bis zum 07. November auf Game on Tabletop unterstützt werden.
Hast du Fräulein Bernburg Pensionat bereits im Crowdfunding unterstützt oder hast es noch vor? Was begeistert dich an dem Spiel und freust du dich auf weitere Projekte von Plotbunny Games? Schreib es in die Kommentare!